obacht tomte zweitausendundacht
Donnerstag, 20. November 2008
Für RockRendezvous

und alle Menschen aus dem Emsland. Es kommen übrigens auch noch Püttlingen, Gröpelingen und ein weiterer Auftritt in Lingen am 2.10.2003 im Buch vor. Jetzt aber die Brückenstory:

S.208
Lingen, 01.06.06

Flughafen Hannover. Trotz einiger Verluste in Form von Brillenglas, EC-Karte, Bargeld und Eiweiß kehren unsere Leningrad Boys strahlend und verstrahlt aus St. Petersburg von ihrem Kurzausflug zurück. Wodkafahnen wehen voraus. Von wegen ›Wodka macht keine Fahne‹, diese Behauptung ist ein für allemal widerlegt. Allerdings riechen Wodkafahnen nicht abstoßend, nicht mal schlimm, eher klinisch steril.
Noch auf dem Flughafen fallen die Jungs in den Nightliner, der über Dreifachstockbetten verfügt, um den Schlaf nachzuholen, den die beiden weißen Nächte am Finnischen Meerbusen nicht zugelassen haben. »Russland hat zwei zu null gewonnen« resümiert Dennis trocken und froh darüber, dass er über Nacht von Rainer Ott eine alte Ersatzbrille besorgt bekommen hat.
»Du hättest die ganze Zeit nur geschrieen«, wendet sich Thees an mich. Alle bedauern (wie ich selbst), dass ich nicht mit dabei sein konnte. »Das wäre was für dich gewesen!«
Leider kam der Auftritt für das Goethe Institut sehr kurzfristig und nur deshalb zustande, weil Wir sind Helden, die eigentlich eingeladen waren, wegen Krankheit absagen mussten und Tomte als Ersatz vorgeschlagen haben. So findet der erste Tomte-Auftritt im nicht deutschsprachigen Ausland vor 150 deutschen Zuschauern statt, zuzüglich 150 russischer, neu gewonnener Freunde, die, wie sie es sonst im Eishockeystadion tun »Ihr seid Prachtkerle« skandieren.
In Kürze sind wir in Lingen, wo bereits ein Umschlag mit Tourpässen auf uns wartet. Das zentrale Motiv ist ein Flughafenfoto vom Zwischenstopp in Riga. Thees und Timo laufen über das Rollfeld und besteigen eine Propellermaschine. Es riecht nach Rock'n'Roll-Ikonografie der 60er-Jahre. Wahnsinn, was der Styra da schon wieder hingezaubert hat. Und dieses mal auch noch in Rekordzeit. Alle sind baff und begeistert. Das sind kleine Freuden unterwegs.
Die Wartezeit überbrücken wir mit einem Playstation-Buzzer-Spiel. Bis zu vier Personen haben einen speziellen Controller mit einem roten Alarmknopf in der Hand und müssen Fragen aus der Musikhistorie beantworten. Ich nehme den Snoop Dogg Charakter als Spielfigur, Thees einen Axl Rose mit Anarcho-T-Shirt, GHvC-Praktikant Philip wählt den Oasis-Darsteller. Es wird hart gekämpft, am Ende gewinnt Thees weil er bei der letzten Frage alles riskiert und auf das richtige Pferd setzt.
Als Vorband hat sich Thees Black Rust aus Ahlen eingeladen. »Die wollen’s richtig wissen«, stellt Olli fest, während wir beobachten, dass Black Rust mit Kontrabass und Blechinstrumenten angereist sind.

Das Bühnenentertainment ist wie immer nicht ganz einfach im Emsland. Es dauert seine Zeit bis der vielzitierte Funke auf das Publikum überspringt. In Anlehnung auf das anstehende, über die Stadtgrenze bekannte Abifestival ruft Thees die Abiturnoten auf der Bühne ab. Das ganze Spektrum wird zur Belustigung aller genannt. Von Einskommanochwas bis Dreikommasechs.
An Abenden, an denen die Begeisterung nicht bedingungslos ist, kann der Ansagensalat zu einer Gratwanderung werden. Muss aber nicht, depends on the singer. Stolz auf seine morgendlichen Schwimmsessions bei 17°C in Berlin witzelt Thees – wie immer bestens über das Lokale informiert, dass die Lingener ja zum Baden immer schönes warmes Wasser haben – dank Atomkraftwerk.
Im Bruchteil einer Sekunde merkend, dass sich wohl niemand ein AKW in seiner Nähe gewünscht hat: »Okay, wir können auch wieder Berlin-Witze machen. Berlin, die Hauptstadt der Verlierer...«

Jemand hat die für uns entscheidenden Verkehrsschilder abgeschraubt. Ich kenne die malerische Landstraße entlang der Ems. Hinterm AKW kommt erst die einspurige Metallbrücke, kurz danach eine Eisenbahnunterführung mit 3,20m Durchfahrtshöhe. Da passte der Wein-LKW, den ich früher vom Ruhrgebiet kommend nach Lingen gesteuert habe, gerade so durch. So ein Nightliner misst aber auch als Singledecker 3,95m in der Höhe, also muss Michael die rote Wurst wenden und einen Riesen-Umweg fahren. Hinweisschilder waren definitiv keine zu sehen. Navi-Geräte wissen auch nicht alles zuverlässig. Wir finden dennoch die Autobahn nach Süden und rumpeln in die Eifel. Ich habe in Echtzeit geträumt, dass der Bus einen Schlammlörer macht und umkippt. Das ist strange, im Unterbewusstsein zu wissen, dass man in einer Koje in einem Bus liegt und spürbar zu erleben, dass der sich sanft an einem schlammigen Hügel auf die Seite legt, weil der Fahrer unbedingt durch die Matsche sliden wollte. Ich wache bei stillstehendem Motor auf, ganz waagerecht, im Nebel. Es ist gar nichts passiert.

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